X Milliarden für weniger Bahnhof
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Technische Fragen und Antworten im Detail

Für Interessierte werden im  Folgenden die technischen Hintergründe zur Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 für die Züge wie für die Fußgänger im Detail erläutert. Ergänzt werden hier auch neue Entwicklungen zu den Themen seit Beginn der Unterschriftensammlung des Bürgerbegehrens. Diese stützen sämtlich die Argumentation des 4. Bürgerbegehrens.
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Fragen zur S21-Leistungsfähigkeit für die Züge
  1. Wie ist es möglich, dass S21 Kapazität abbaut?
  2. Durchgangsbahnhöfe haben aber doch einen Leistungsvorteil?
  3. Welche Kapazität von Stuttgart 21 wurde dann eigentlich planfestgestellt?
  4. S21 wurde doch planfestgestellt als "ausreichend und zukunftssicher" bemessen?
  5. Wie konnte der Rückbau 15 Jahre lang verborgen bleiben?
  6. Stimmt es, dass laut der Planfeststellung nachts mehr Züge als mittags fahren würden?
  7. Was kann der Kopfbahnhof im Vergleich zu Stuttgart 21?
  8. Ist die Planfeststellung damit hinfällig?
  9. Aber es gab doch noch das Gutachten von Prof. Martin?
  10. Liefert denn nicht der Stresstest einen Nachweis, der Stresstest wurde doch überprüft?
  11. Hat die Bahn tatsächlich eingestanden, dass der Stresstest fehlerhaft ist?
  12. S21 sollte doch eine doppelte Leistung und sogar eine doppelte Kapazität erbringen?
  13. Sind wir bei der Leistungsfähigkeit allein auf die Black-Box der Simulationen angewiesen?
  14. Kann einem einfachen Bürger die Frage der Leistungsfähigkeit plausibel gemacht werden?
  15. S21 ist modern und hat einen Ringverkehr – da wird der Bahnhof wohl mehr können?
  16. Andere Bahnhöfe erbringen aber doch eine Leistung wie im Stresstest?
  17. Das Landesverkehrsministerium argumentiert doch mit den "30 vertakteten Zügen"?
  18. Braucht man zum zweifelsfreien Beleg des Rückbaus nicht neue Gutachten?
  19. Aber zuletzt entschied doch die Justiz für S21?
  20. Hat die Bahn denn keine Argumente gegen die Kritik an der S21-Leistungsfähigkeit? 
Fragen zur S21-Leistungsfähigkeit für die Fußgänger
  1. Warum ist S21 auch für die Fußgänger zu eng?
  2. Die DB hatte doch dem Gemeinderat berichtet?
  3. Welche unrichtigen Darstellungen hatte die Bahn dem Gemeinderat gegeben?
  4. Wird es wirklich so eng sein, dass es für die Reisenden lebensgefährlich wird?
  5. Was sagt der Gemeinderat dazu, dass er falsch informiert wurde?
  6. Was sagt die Bahn zu diesen Vorwürfen?

Fragen zur S21-Leistungsfähigkeit für die Züge

Fragenkomplex: Warum wird S21 zu wenige Züge verarbeiten können?
Hintergrundinformationen: wikireal.org/wiki/Stuttgart_21/Leistung

Wie ist es möglich, dass S21 Kapazität abbaut?

Der neue Tiefbahnhof Stuttgart 21 soll den vermeintlich überlasteten 17-gleisigen Kopfbahnhof ersetzen, um Wachstum zu ermöglichen. Laut Finanzierungsvertrag soll das Projekt "zum Zwecke der Verbesserung des Verkehrsangebots realisiert werden" und sich das "Zugangebot um ca. 50 %" gegenüber dem Angebot von 2001 erhöhen. Maßgeblich ist sowohl laut Planfeststellung als auch laut Finanzierungsvertrag die Belastung in der Spitzenstunde. Stuttgart 21 wurde jedoch aus Kosten- und Platzgründen mit nur 8 Bahnsteiggleisen viel zu klein geplant. Während der Kopfbahnhof eine Kapazität von 50 Zügen aufweist und heute 38 Züge in der Spitzenstunde abfertigt, ist die Kapazität von Stuttgart 21 aufgrund seiner geringen Größe auf 32 Züge pro Stunde beschränkt.
 

Gleisplan und Innenansicht des Kopfbahnhofs und von Stuttgart 21

Gleispläne und Innenansichten, Kopfbahnhof und Stuttgart 21. Aus 17 Bahnsteiggleisen werden 8, die Fläche der Bahnsteige sinkt um rund 30 %. Dennoch soll 50 % mehr Verkehr ermöglicht werden? Das ist unmöglich, tatsächlich sinkt die Kapazität des Bahnhofs um rund ein Drittel. Auch in den Zuläufen gibt es keinen Vorteil für S21: Der Kopfbahnhof hat 6 Zulauf- und 5 Abstellbahnhofgleise, S21 hat zwar 8 Zulaufgleise, die aber auch für den Abstellverkehr genutzt werden müssen. Auch hat der Kopfbahnhof deutlich mehr Kapazität im Gleisvorfeld mit vielfältigen Ausweichmöglichkeiten, etwa wenn einmal eine Weiche ausfällt. Bei S21 sind mehrere Weichen von derart zentraler Bedeutung, dass sie im Falle eines Defekts Teile des Bahnhofs lahmlegen. Die einstmals beeindruckende Architektur von S21 wird durch die für den Brandschutz nötigen Fluchttreppenhäuser zerstört, die außerdem viele neue Engpässe an den Bahnsteigen schaffen. [Von der Bahn wurden im Gleisplan die Bahnsteige des Kopfbahnhofs verkürzt dargestellt (rote Markierung), was hier korrigiert wurde. Außerdem fehlt in der Darstellung der DB AG Gleis 1a.] (Gleispläne sowie die Innenansicht S21 mit den neuen Fluchttreppenhäusern von der DB AG aus dem Turmforum, Beispiel für eine Neugestaltung des Kopfbahnhofs: Entwurf Prof. Ostertag, Grafik proeleven.)
 

Durchgangsbahnhöfe haben aber doch einen Leistungsvorteil?

Die Fachleute der Befürworterseite wie DB-Technikvorstand Dr. Kefer (2. Schlichtungstag) und Prof. Heimerl (St.N.), der "Vater" von S21, gehen davon aus, dass Durchgangsbahnhöfe doppelt so viel leisten wie Kopfbahnhöfe. Dabei übersehen sie schon, dass dieser Faktor für S21 nicht ausreicht, da der Tiefbahnhof bei weniger als halb so viel Gleisen selbst dann einen Rückbau bedeutet. Der Idee von der Verdopplung liegt eine einfache Modellvorstellung zugrunde: Man stellt sich einen Durchgangsbahnhof in der Mitte geteilt vor, als zwei Kopfbahnhöfe mit insgesamt der doppelten Anzahl von Bahnsteiggleisen. – Dieses Bild ist aber unzutreffend, denn so werden Durchgangsbahnhöfe nicht betrieben. Einzelne Gleise von Durchgangsbahnhöfen können in dieser Weise genutzt werden, etwa in Hamburg, wo zwei Regionalzüge die beiden Hälften eines Gleises nutzen, als wäre das Gleis in der Mitte getrennt, und jeweils zu der Seite wieder ausfahren, von der sie eingefahren waren. Sobald aber die Züge eines doppelt belegten Gleises in der Einfahrrichtung weiterfahren (wie bei S21), behindern sie sich gegenseitig und übertragen Verspätungen. 400 m lange Fernzüge belegen ohnehin das gesamte Gleis, so dass hier keine 2 Züge am Bahnsteig stehen können. Der übliche Vorteil von Durchgangsbahnhöfen beträgt daher in der Praxis nicht die 100 % einer Verdopplung, sondern lediglich gut 40 % (pdf). Das bedeutet, dass S21 weniger leistet als der Kopfbahnhof, und bestätigt hervorragend das Verhältnis zwischen den 50 Zügen auf 17 Gleisen im Kopfbahnhof und den 32 Zügen auf 8 Gleisen bei S21.

Welche Kapazität von Stuttgart 21 wurde dann eigentlich planfestgestellt?

In späteren Gutachten von Prof. Martin von 2005 und dem Stresstest von 2011 war von 51 bzw. 49 Zügen die Rede, für diese Leistungsversprechen wird aber nicht gehaftet, weil diese Studien nicht in die Planfeststellung aufgenommen wurden (außerdem werden diese Zugzahlen nur auf dem Papier in Folge schwerwiegender methodischer Fehler erzielt, siehe unten). Ausgelegt wurde S21 tatsächlich auf lediglich max. 32 Züge pro Stunde. Für diese Zugzahl wurde in der Planfeststellung die für die Genehmigung entscheidende Betriebsqualität geprüft. Dennoch wurde dieser wichtigste Wert der Auslegung in den Gutachten und der Planfeststellung nicht ausdrücklich genannt.

Darüber hinaus wurde eine absolute Leistungsgrenze für S21 bei 32,8 Zügen pro Stunde bestimmt (folgende Abb.). Diese Limitierung ergibt sich durch die Zulaufstrecken und auch sie wurde nicht an relevanter Stelle dargestellt. Zu keiner Zeit später wurde dargelegt, warum spätere höhere Zusagen etwa von 51 Zügen durch Prof. Martin oder 49 Zügen im Stresstest diese klar dargestellte Leistungsgrenze überwinden können. Die 32,8 Züge-Leistungsgrenze wird von den Projektbetreibern und der Politik schlicht übergangen.
 

Zitat aus dem Gutachten von Prof. Schwanhäußer aus 1997, S21 auf 32,8 Züge begrenzt

Ausschnitt aus dem Planfeststellungsgutachten von Prof. Schwanhäußer 1997 (S. 58): Stuttgart 21 ist allein aufgrund der geplanten Infrastruktur der Zuläufe (ohne Ausbau des Pragtunnels "P-Option") auf 32,8 Züge pro Stunde begrenzt. Um den Leistungsrückbau von S21 bestätigt zu finden, sind keine neuen Gutachten nötig. Es genügt, die vorhandenen Gutachten zu lesen! (Die hier erwähnten 38,8 Züge pro Stunde sind auch bei Ausbau der Zulaufstrecken nicht erreichbar. Sie beruhen auf rund 2 Minuten mittlerer Haltezeit, die schon bei Übergang auf die von Gutachter Schwanhäußer für nötig gehaltenen 3 Minuten Mindesthaltezeit auf rund 33 Züge zu korrigieren wären.)
 

Stuttgart 21 wurde doch planfestgestellt als "ausreichend und zukunftssicher" bemessen?

Ja, aber ein zweiter Blick auf die damaligen Unterlagen zeigt, dass tatsächlich weniger Züge planfestgestellt wurden, als dem aktuellen Bedarf entspricht. Schon die erste Bewertung einer "zukunftssicheren Bemessung" für Stuttgart 21 in der Machbarkeitsstudie von 1994 von Prof. Wulf Schwanhäußer entsprach für den 8-gleisigen Tiefbahnhof nur einer Leistung von rund 30 Zügen pro Stunde. Die Planfeststellung von 2005 basierte auf Gutachten von 1997, die lediglich eine Leistungsfähigkeit von "32 bis 35 Gleisbelegungen" zugrunde legten. Dabei war übersehen worden, dass dies weniger war als die rund 38 Züge, die schon 1996 zur Zeit der Planung wie auch heute in der morgendlichen Spitzenstunde fuhren und dass so das mit dem Szenario "BVWP 2003" geplante Wachstum von rund 43 % nicht realisiert werden kann.

Wie konnte der Rückbau 15 Jahre lang verborgen bleiben?

Weder die Auslegungsleistung der 32 Züge pro Stunde noch die Leistungsgrenze von 32,8 Zügen pro Stunde wurden klar in den Ergebnisdarstellungen der Gutachten wiedergegeben. Dennoch wurde von einer "ausreichenden und zukunftssicheren Bemessung" gesprochen. Eine in sehr vielen Punkten unwissenschaftliche Darstellung hatte über den Widerspruch hinweggetäuscht (pdf). Infolge dieser Täuschungen urteilte der Verwaltungsgerichtshof BW (VGH) 2006 zugunsten von S21. Das Gericht unterlag dabei zum einen einem wesentlichen Missverständnis über die Kapazität des neuen Bahnhofs: Mittel- wurden mit Maximalwerten verwechselt und daraus falsche Schlüsse gezogen. Zum anderen blieb in Planfeststellung und Finanzierungsvertrag unbemerkt, dass das Wachstum von rund 50 % mit der auf 32 Züge pro Stunde beschränkten Kapazität unmöglich ist. Schon diese ergebnisumkehrenden Missverständnisse machen die Planfeststellung hinfällig. Zahlreiche weitere unrichtige und unvollständige Angaben in der unwissenschaftlichen Ergebnisdarstellung der Leistungs-Gutachten der Planfeststellung täuschten die verantwortlichen Behörden und die Öffentlichkeit über den tatsächlich durch S21 stattfindenden Leistungsrückbau hinweg.

Stimmt es, dass laut der Planfeststellung nachts mehr Züge als mittags fahren würden?

Ja, es ist kaum zu glauben. Grundlage der Planfeststellung ist ein Betriebsprogramm, in dem nachts mehr Züge als mittags fahren würden! Die Vorgabe für die Planung ist das Tagesbetriebsprogramm "BVWP 2003" (PFB S. 149, 154), das mit 856 Ankünften und Abfahrten gegenüber dem Fahrplan von 2001 mit 598 Ankünften und Abfahrten ein Wachstum von 43 % bringen soll. Das Betriebsprogramm "BVWP 2003" enthält zusätzlich 204 Leerfahrten von und zum Abstellbahnhof. Diesen insgesamt 1.060 Zugfahrten entsprechen 530 Züge, von denen jeder 2 Fahrten liefert (Ankunft, Abfahrt oder Leerfahrt). Das Auslegungsbetriebsprogramm von 1997 von Prof. Heimerl für die einzelnen Stunden des Tages weist 32 Züge pro Stunde der Hauptverkehrszeit und 19 Züge in den Stunden der Nebenverkehrszeit aus (das sind schon weniger Züge als damals in der Spitzenstunde bzw. Nebenverkehrszeit im Kopfbahnhof fuhren). In der Bedarfsanalyse der Institute ITP/VWI, ebenfalls aus dem Jahr 1997, wurden typisch 4 Stunden Hauptverkehrszeit (2 morgens, 2 abends) und dazwischen 7,5 Stunden Nebenverkehrszeit für einen Werktag angenommen. Das ergibt 4 × 32 Züge + 7,5 × 19 Züge = 270,5 Züge für die 11,5 Stunden des Tages. Für die 12,5 Stunden der Nacht verbleiben von den 530 Zügen pro Tag noch 259,5 Züge. D.h. knapp 21 Züge müssten im Durchschnitt während jeder Stunde der Nacht fahren. In dieser Zeit geht aber der Verkehr in der Praxis auf Null zurück. Das Auslegungsbetriebsprogramm erfüllt die Vorgabe der Planung demnach nur, wenn man annimmt, dass im Tiefbahnhof zukünftig nachts mehr Züge (21 Züge/h) als mittags (19 Züge/h) fahren, dass also das Leben in Stuttgart sich großteils in die Nacht verlagert! Verkehrswachstum durch leere Phantomzüge in der Nacht könnte der Kopfbahnhof aber auch ohne milliardenteure Verlegung unter die Erde bewerkstelligen.

Was kann der Kopfbahnhof im Vergleich zu Stuttgart 21?

Gegenüber den 32 Zügen Kapazität von Stuttgart 21 liegt der Bedarf in der maßgeblichen Spitzenstunde damals wie heute laut Fahrplan bei etwa 38 Zügen. Darüber hinaus hat der Kopfbahnhof noch Reserven: Er kann rund 50 Züge pro Stunde leisten, wie inzwischen auf verschiedenen Wegen ermittelt und von der Landesregierung/NVBW bestätigt wurde (MVI).
 

Leistungsfähigkeit von Kopfbahnhof und Stuttgart 21 im Vergleich

Milliarden für einen drastischen Kapazitätsrückbau, – sogar unter den heutigen Bedarf! Während der bestehende Kopfbahnhof ggü. den heute abgefertigten 38 Zügen pro Stunde noch Reserven bis zu einer Kapazität von rund 50 Zügen hat, ist Stuttgart 21 nur auf 32 Züge ausgelegt und schon bei 32,8 Zügen in der Leistung begrenzt, höhere Versprechungen waren unhaltbar oder ihre Fehler wurden schon von der Bahn bzw. ihrem Gutachter eingestanden. (Quellen zu den Zahlen sind in der Reihenfolge ihrer Veröffentlichung angegeben, Kritiker: blau, Befürworter: rot.)
 

Ist die Planfeststellung damit hinfällig?

Ja, S21 ist damit ein nicht genehmigter Rückbau und liefert nicht die „verkehrliche Verbesserung“, mit der das Projekt begründet wurde. Der Bahnhof bringt keinen Nutzen für die Allgemeinheit, sondern einen Schaden. Es wird ein Engpass auf der Europäischen Magistrale geschaffen. Die Rücknahme der Planfeststellung wurde zuletzt im Rahmen der Erörterung zum Grundwassermanagement von PFA 1.1 beim Eisenbahnbundesamt beantragt (pdf).

Aber es gab doch noch das Gutachten von Prof. Martin?

Prof. Martin hatte 2005 für S21 einen "optimalen Leistungsbereich" von "42 bis 51 Zügen pro Stunde" ermittelt. Er empfiehlt nun, sich für die Kapazität am unteren Ende dieses Bereichs, also eher bei 42 Zügen zu orientieren (St.Z. 1, St.Z. 2). Hinzu kommen weitere Fehler in seiner Simulation wie die ausgeblendeten Engpässe in den Zulaufstrecken, aber vor allem die durchschnittlich lediglich 1,6 Minuten Haltezeit, die er angesetzt hatte. Korrigiert man auf realistische Werte für die Haltezeit von 4 bis 5 Minuten, reduziert sich die Kapazität weiter nach unten auf tendenziell sogar weniger als 30 Züge pro Stunde. Erst dann ist dieses Gutachten wieder verträglich mit der in der Planfeststellung festgestellten Leistungsgrenze von 32,8 Zügen pro Stunde. Mit der Rücknahme des Martin-Gutachtens ist die sachliche Basis des VGH-Urteils von 2006 entfallen, da der VGH die 51 Züge noch als Beleg für eine "überlegene Aufnahmefähigkeit" von S21 herangezogen hatte (Urteil Rn. 72).
 

30 vertaktete Züge

Die Leistungsfähigkeit eines Durchgangsbahnhofs ist wesentlich von der mittleren Haltezeit bestimmt, wie schon der "Vater" von Stuttgart 21 Prof. Heimerl betonte. Damit muss aber die von Prof. Martin bei durchschnittlich 1,6 Min. Haltezeit bestimmte Leistungsfähigkeit für realistischere Haltezeiten, wie sie im Stresstest angesetzt wurden, deutlich reduziert werden. Der hier eingezeichnete abfallende Trend folgt einem konstanten Belegungsgrad, der im Allgemeinen als Qualitätsmaßstab gewählt wird. Prof. Martins Gutachten, insbesondere nach der Rücknahme der Kapazität auf rund 42 Züge, stellt damit den Stresstest erheblich in Frage.

 

Liefert denn nicht der Stresstest einen Nachweis, der Stresstest wurde doch überprüft?

Der sogenannte "Stresstest" mit seinen vermeintlich 49 Zügen pro Stunde ist ohnehin rechtlich nicht verbindlich, da nicht Bestandteil der Planfeststellung. Darüber hinaus ist er mit schweren methodischen Fehlern behaftet, die selbst vom Auditor SMA übersehen bzw. nicht konsequent bewertet wurden. Auch die 49 Züge widersprechen den 32,8 Zügen, die von Prof. Schwanhäußer als Leistungsgrenze für Stuttgart 21 festgestellt worden waren. Von der Deutsche Bahn AG und dem Auditor SMA wurden aber auch gegenüber dem Landesverkehrsministerium schon die wichtigsten leistungsüberhöhenden Fehler im Stresstest eingestanden: Unzulässiger Verspätungsabbau, nicht berücksichtigte Züge, unzulässig gekappte und eliminierte Verspätungen etc. Die Fehler zwingen, die 49 Züge weit nach unten zu korrigieren.
 

Stresstest, Überleitung von den 49 Zügen zu rund 30 Zügen über die einzelnen Fehlerkorrekturen

Überleitung von den 49 Zügen des Stresstests über verschiedene Fehlerkorrekturen auf aktuell rund 30 Züge pro Stunde. Darstellung der 14 wichtigsten Fehler aus der Diskussion mit der DB AG. Einzelne Fehler überhöhen die Leistung (gelbe Balken), andere täuschen nur über die wahre Qualität des Bahnhofs hinweg (blau). DB AG und SMA haben die meisten Fehler schon eingestanden. (Prinzip-Darstellung C. Engelhardt, derzeit ergeben sich korrigiert rund 30 Züge, im Nov. 2011 waren es rund 32 Züge, die Aktualisierung der Fehlerabschätzung läuft aber noch.)
 

Hat die Bahn tatsächlich eingestanden, dass der Stresstest fehlerhaft ist?

Natürlich hat die Deutsche Bahn noch nicht öffentlich verlautbart, im Stresstest schwere leistungsüberhöhende Fehler gemacht zu haben. Es gab aber zu wesentlichen Stresstest-Fehlern Statements der Bahn gegenüber dem Landesverkehrsministerium (MVI), die den jeweiligen Fehler zwar im Prinzip einräumten aber für nicht relevant erklärten, oder die schlicht widersprüchlich bzw. unrichtig sind (Protokoll des Meetings vom 14.03.2013, Antworten der DB auf die Fragen des Landes vom 24.05.2013). Beispiele: • Der Grenzwert von 1 Minute Verspätungsaufbau kann nicht sowohl Ober- wie auch Untergrenze der Stufe der risikobehafteten Betriebsqualität sein. • Bei der Auslegung des Bahnhofs darf der Bedarf für die morgens dort eingesetzten Züge nicht ausgeblendet werden. • Die herausfordernden hohen Verspätungswerte dürfen nicht einfach gekürzt oder auf mehrere harmlose Verspätungen verteilt werden. • Die Verwendung eines unzulässigen Zeitanteils zum Verspätungsabbau kann nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass ein anderer ebenso unzulässiger Zeitanteil nicht herangezogen wird, etc. (Siehe auch die zusammenfassenden Darstellungen: pdf1 S. 8, pdf2 S. 4.) Die Abschätzung der Korrekturen dieser Fehler führt erneut auf rund 32 Züge (im vorläufigen Stand der Aktualisierung 30 Züge). Erst nach diesen Korrekturen ist der Stresstest auch mit der Leistungsgrenze der 32,8 Züge verträglich.

Im Mai 2013 wurde die Bahn über das MVI im Detail mit den von ihr schon eingestandenen Stresstest-Fehlern und den Widersprüchen in ihren bisherigen Aussagen in einem Fragenkatalog konfrontiert. Daraufhin heißt es inzwischen von Seiten der Bahn und SMA, man wolle sich zu den Fragen nicht äußern. Die Fehler-Eingeständnisse können somit als unwidersprochen gelten.

Neu seit Beginn des Bürgerbegehrens: Im Herbst 2014 wurden im Rahmen der Filderanhörung (PFA 1.3) mit der Stellungnahme der DB Netz AG (pdf) weitere Fehler im Stresstest faktisch eingestanden, insbesondere: • Die Haltezeiten unterschreiten die Werte der Richtlinie und die Vereinbarungen mit der Landesregierung. Es wurden auch Daten veröffentlicht, die den Stresstest als unfahrbar ausweisen. Die Simulation konnte so gar nicht stattgefunden haben. Die Kritik ist im sogenannten "Nachforderungskatalog" (pdf) zusammengefasst, den die Bahn auf Anforderung des Regierungspräsidiums Stuttgart beantworten wollte. Den dafür zugesagten Termin von Feb. 2015 hat die Bahn nicht eingehalten und ist bis heute die Entkräftung dieser Stresstest-Kritik schuldig. Siehe dazu auch Eisenbahn-Revue 1/2015 (pdf).  

S21 sollte doch eine doppelte Leistung und sogar eine doppelte Kapazität erbringen?

Schon bald nach Projektstart wurde in Projektbroschüren und Presseinformationen erst von +50 % und +80 % mehr Verkehr gesprochen, dann von einer Verdopplung der Leistung des Kopfbahnhofs durch Stuttgart 21. Dies wurde aufrecht erhalten, selbst als während der Planfeststellung nur viel geringere Leistungswerte diskutiert wurden. Ab 2007 wurde für Stuttgart 21 sogar eine Verdopplung der Kapazität versprochen und dies sogar als „Bedingung“ der Förderung mit 114 Mio. Euro durch die Europäische Kommission angegeben (ec.europa.eu S. 11). Inzwischen relativiert das Bundesverkehrsministerium, dies sei nur ein „erwartetes Ergebnis“ gewesen. (Ein Autohändler hat es nicht so leicht, wenn der verkaufte Wagen später weniger als halb so schnell fährt wie zugesagt.) Jahrelang wurde mit der doppelten Leistung und Kapazität geworben, gerade zu den Zeiten als die Parlamente und die Bevölkerung dem Projekt zustimmten und selbst als mit dem Stresstest nur ein Leistungsplus von lediglich +30 % diskutiert wurde. Erst jetzt, lange nach der Volksabstimmung, wurden diese Versprechungen ganz im Stillen von den Internetseiten und der S21-Ausstellung im Turmforum des Hauptbahnhofs entfernt (St.Z.). Nachdem die politischen Entscheidungen inzwischen im gewünschten Sinn gefallen sind, hat diese besonders grobe Nutzenlüge ihre Schuldigkeit getan.

Neu seit Beginn des Bürgerbegehrens: Im Rahmen der Filderanhörung im Herbst 2014 hat die Bahn die Behauptung einer Verdopplung der Kapazität bekräftigt (siehe die zur vorausgehenden Frage genannten Dokumente). Insbesondere wurde mit dieser Leistungszusage im Info-Pavillon des Ulmer Hauptbahnhofs noch bis wenigstens März 2015 geworben.

Sind wir bei der Leistungsfähigkeit allein auf die Black-Box der Simulationen angewiesen?

Nein, es gibt beispielsweise eine bewährte Bahnhofsplaner-Daumenregel über den sogenannten "Belegungsgrad". Das ist der Zeitanteil der Spitzenstunde, zu dem die Gleise durch haltende, ein- oder ausfahrende Züge blockiert sind. Die Stuttgart 21-Gutachter Prof. Heimerl und Prof. Schwanhäußer setzten den Belegungsgrad wiederholt zur Plausibilisierung ihrer Planung ein, 1994 oder auch 2006 vor dem VGH (Rn. 59). Sie argumentierten dabei, Belegungsgrade von 50 % oder knapp darüber seien noch tragbar (bei den damals niedrigen Zugzahlen und Haltezeiten). Für den Stresstest liegt dieser Wert in der Nähe von 90 % – ein solcher Bahnhof kann überhaupt nicht mehr funktionieren. Die Bahn behauptet nun überraschend, der Belegungsgrad (den auch die Stresstest-Software RailSys standardmäßig berechnet) sei nicht mehr anwendbar. Außer dem Belegungsgrad gibt es noch weitere geeignete Vergleiche, siehe die folgenden Fragen.

Neu seit Beginn des Bürgerbegehrens: In der Filderanhörung versuchte die Bahn mittels einer "Handrechnung" des Belegungsgrads des Stresstests dessen Fahrbarkeit zu belegen, tatsächlich wurde dabei die Unfahrbarkeit bestätigt (ERI 1/2015).

Kann einem einfachen Bürger die Frage der Leistungsfähigkeit plausibel gemacht werden?

Im Prinzip kann jeder erkennen, welche Leistung für Stuttgart 21 realistisch wäre. Es genügt ein Vergleich mit bestehenden Bahnhöfen. Selbst höchst- und überlastete Bahnhöfe wie Köln und Hamburg können im Mittel nur knapp über 4 Züge pro Gleis und Stunde verarbeiten. Es gibt keinen deutschen Großbahnhof, der mehr leistet. S21 soll mit den 49 Zügen des Stresstests auf 8 Bahnsteiggleisen über 6 Züge pro Gleis und Stunde abfertigen (pdf). Das ist unerreichbar. 4 Züge pro Gleis und Stunde scheinen noch machbar, das bedeutet für Stuttgart 21 erneut eine Kapazität von 32 Zügen pro Stunde.
 

Leistungsfähigkeit deutscher Großbahnhöfe im Vergleich

Vergleich der Leistungsfähigkeit deutscher Großbahnhöfe. Die von der Stiftung Warentest ermittelte Pünktlichkeit der Bahnhöfe korreliert gut mit der Belastung der Bahnhöfe. Köln und Hamburg sind deutlich überlastet, was auch die Bahn eingesteht. (Köln wurde ggü. der ursprünglichen Veröffentlichung hier ohne den Regionalverkehr auf S-Bahngleisen betrachtet.) Stuttgart 21 würde einen Quantensprung in der Leistungsfähigkeit machen. Dafür gibt es aber keine technische Erklärung.
 

S21 ist modern und hat einen Ringverkehr – da wird der Bahnhof wohl mehr können?

Stuttgart 21 ist von seiner Infrastruktur kein grundsätzlich neuartiger Bahnhof, sondern den bestehenden Großbahnhöfen vergleichbar. Auf die Frage nach der technischen Erklärung für den Leistungssprung im Vergleich zu den höchstleistenden Bahnhöfen in Deutschland angesprochen, führte Technikvorstand Dr. Kefer den Ringverkehr von S21 an (SWR). Ein solcher Ringverkehr liegt aber auch in Köln vor (Südbrücke) und wird dennoch nicht zur Entlastung genutzt. Eine Leistungssteigerung von Bahnhöfen durch einen Ringverkehr wird wissenschaftlich nicht berichtet. Auch haben sich international Ringverkehre noch nicht zur Entlastung überlasteter Bahnhöfe etabliert. Es fehlt also nach wie vor die Erklärung für den S21-Leistungssprung.

Andere Bahnhöfe erbringen aber doch eine Leistung wie im Stresstest?

Dem Vergleich der Großbahnhöfe wurde entgegengehalten, dass etwa in Amsterdam Schiphol über 7 Züge und in Brüssel Centraal sogar 13 Züge pro Gleis und Stunde abgefertigt werden. Hier ist der wesentliche Unterschied die im Verhältnis zu S21 viel geringere durchschnittliche Haltezeit der Züge. Prof. Heimerl, der "Vater von Stuttgart 21", hatte schon in der Machbarkeitsstudie von 1994 klargestellt, dass die bestimmende Größe für die Leistungsfähigkeit von Durchgangsbahnhöfen die mittlere Haltezeit ist. Es leuchtet unmittelbar ein, dass umso mehr Züge verarbeitet werden können, je kürzer sie die Bahnsteige blockieren. Wird der Anteil der Haltezeiten im Bahnhof ausgewertet, zeigt sich eine Art "Schallmauer" für die Leistungsfähigkeit von Durchgangsbahnhöfen (siehe Abbildung). Zur Auswertung werden die fahrplanmäßigen Haltezeiten der in der Spitzenstunde haltenden Züge summiert und durch die Anzahl der Bahnsteiggleise sowie durch 60 Minuten geteilt. (Diese Methode ähnelt dem Belegungsgrad, ist aber leichter – nämlich allein anhand der Fahrpläne – auszuwerten.) Der S21-Stresstest mit den 49 Zügen pro Stunde liegt in dieser Auswertung mehr als einen Faktor 2 über der "Schallmauer"! Die Stresstest-Leistung ist in der Praxis unerreichbar, lediglich rund 32 Züge erscheinen für die 8 Gleise plausibel:
 

Anteil der Haltezeit an der Gesamtzeit für Vergleichsbahnhöfe und für Stuttgart 21

Leistungsfähigkeit von einem anderen Stern! Anteil des Fahrgastwechsels an der Gesamtzeit* und mittlere Haltezeiten in der Spitzenstunde verschiedener hochbelasteter Durchgangsbahnhöfe. Dieser Vergleich macht eine Art „Schallmauer“ für die Bahnhofs-Leistungsfähigkeit sichtbar. Selbst Bahnhöfe mit höchster Leistung in der Spitzenstunde liegen unterhalb der Grenze, bei der der Fahrgastwechsel ein Viertel der gesamt zur Verfügung stehenden Zeit ausmacht (Bahnhöfe gleicher Leistung liegen jeweils auf einer der fächerförmigen Linien). Der stark überlastete Hbf Köln liegt knapp über dieser Grenze. Stuttgart 21 soll laut Stresstest 49 Züge pro Stunde auf 8 Bahnsteiggleisen bei einer mittleren Haltezeit von 5,3 Min. abfertigen können und liegt damit mehr als einen Faktor 2 über der „Schallmauer“. Diese Leistungsfähigkeit ist in der Praxis unerreichbar, sie wird nur auf dem Papier und aufgrund zahlloser Regelverstöße erreicht. Bei knapp 4 Min. Haltezeit wie in Köln oder Hannover sind 32 Züge möglich (schräge Linie zu 4 Zügen pro Gleis und Stunde), wie sie auch für S21 planfestgestellt wurden (jedoch bei viel zu kurzen Haltezeiten). (Auswertung und Darstellung C. Engelhardt.) Es ist bisher weltweit kein Bahnhof bekannt, der die "Bahnhofs-Schallmauer" deutlich durchbricht.

* Anteil des Fahrgastwechsels an der Gesamtzeit = mittlere Haltezeit der durchgebundenen Züge (Züge mit Ankunft- und Abfahrtzeit) × Anzahl der Züge in der Spitzenstunde / (Anzahl Bahnsteiggleise im Fern- und Regionalverkehr × 60 Min.). Für endende und beginnende Züge (deren Bereitstellungszeit nicht im Fahrplan erscheint) sowie für Züge, die unter neuer Zugnummer weiterfahren (z.B. Bahnsteigwenden) wird damit die durchschnittliche Haltezeit der durchgebundenen Züge angenommen, diese ist ein gutes Maß für die in dem Bahnhof aufgrund seines Fahrgastaufkommens und Betriebsprogramms notwendige mittlere Fahrgastwechselzeit. S-Bahnen wurden nur bei den reinen S-Bahnhöfen und dem durchweg gemischt betriebenen Bahnhof Zürich Durchmesserlinie berücksichtigt. Datenstand zumeist 2011.

Das Landesverkehrsministerium argumentiert doch mit den "30 vertakteten Zügen"?

Das Landesverkehrsministerium (MVI) argumentiert, dass Stuttgart 21 durch die Realisierung eines Betriebsprogramms mit "30 vertakteten Zügen", die gestellten Leistungsanforderungen erfüllt (MVI). Das MVI vertritt dort mehrfach neuartige und von der Bahnwissenschaft nicht abgedeckte Thesen: Eine Leistungsanforderung und Bemessung der Infrastruktur auf Basis vertakteter Züge wurde für Stuttgart 21 nicht formuliert, es wurden sowohl in Planfeststellung als auch Finanzierungsvertrag sämtliche Züge der Spitzenstunde als maßgeblich bezeichnet. Eine Einschränkung auf vertaktete oder auch nur die ankommenden Züge ist nicht gegeben und auch bahnwissenschaftlich nicht haltbar. Auch und gerade in der morgendlichen Hauptverkehrszeit besteht sehr wohl Bedarf für eingesetzte Züge (der Verkehr wird am Morgen "hochgefahren", mehrere Fernzüge starten in Stuttgart) und zusätzliche Verstärkerzüge. Alle Züge gemeinsam belasten die Kapazität des Bahnhofs. Es ist dabei vollkommen unerheblich, ob laut Fahrplan zu einem der Züge ein Schwesterzug existiert, der eine halbe Stunde früher oder später fährt. Die in den S21-Betriebsprogrammen stark reduzierten Abstellfahrten erscheinen unrealistisch, da das Land auch in Zukunft keine unausgelasteten Regionalzüge bestellen wird, die morgens leer ins Land hinaus fahren. Wenn also ein Bahnhof zwar 30 vertaktete Züge verarbeiten kann, aber in der Kapazität auf 32 Züge pro Stunde beschränkt ist, ist er dennoch unterdimensioniert und ein Leistungsrückbau. Insbesondere wenn heute schon in der Spitzenstunde ein Bedarf von 38 Zügen pro Stunde zu bewältigen ist und darüber hinaus laut Finanzierungsvertrag ein Plus von 50 % im Zugangebot ermöglicht werden soll. Einfach gesagt, sind für die Kapazität alle Züge des voraussichtlichen Bedarfs relevant, statt der Argumentation mit den "30 vertakteten Zügen" könnte man gleichermaßen argumentieren, S21 ist ausreichend dimensioniert, weil es bei den lila angestrichenen Zügen ein Plus von 50 % schafft.
 

30 vertaktete Züge

Die Aussagen der Landesregierung: "erheblich höhere Zugzahl" und "+50 %" betreffen nur einen Teil der Verkehrs. Für den im Finanzierungsvertrag zugesagten Verkehrszuwachs und den in der Planfeststellung zugesagten Kapazitätsausbau sind aber sämtliche Züge in der Spitzenstunde relevant. Hier bedeutet Stuttgart 21 einen Kapazitätsabbau um -36 %.

 

Braucht man zum zweifelsfreien Beleg des Rückbaus nicht neue Gutachten?

Die Kritik beruht nicht auf neuer Bahnwissenschaft, sondern auf den Unterlagen der Planfeststellung, sowie den vorliegenden Aussagen der Bahn und ihrer Gutachter. Es wird kein neues Gutachten benötigt, da der S21-Leistungsrückbau nach kritischer Lektüre der Planfeststellungsgutachten aus diesen zu entnehmen ist. Die niedrige Leistungsfähigkeit von S21 wird lediglich zusätzlich gestützt durch die üblichen (auch von den Gutachtern eingesetzten) Leistungsvergleiche mit anderen Bahnhöfen oder über etablierte Kennzahlen. Sowohl das vorliegende Gutachten von Prof. Martin mit der von ihm korrigierten Kapazitätsaussage als auch der Stresstest mit seinen deutlich leistungserhöhenden methodischen Fehlern belegen zusätzlich, dass deren Leistungswert unter realistischen Bedingungen sicher nicht erreicht werden kann. Die Abschätzung der bekannten Fehler führt erneut auf die 32 Züge, die von allen anderen Methoden bestätigt werden und auf die S21 tatsächlich ausgelegt worden war.

Aber zuletzt entschied doch die Justiz für S21?

Die Fragen zur Leistungsfähigkeit von S21 wurden in jüngeren Entscheidungen der Justiz nicht in der Sache bewertet und somit nicht gerichtlich entschieden. Häufig wird die sachliche Bewertung mit der Formulierung "nicht ersichtlich" ohne weitere Begründung umgangen: • Oberstaatsanwalt Häußler war nicht "ersichtlich", dass S21 ein planerischer Missgriff sein sollte, da der Bahnhof doch "bis zu 35" Züge leisten könne (pdf), obwohl er wusste, dass heute über 38 Züge fahren und S21 ein Wachstum von rund 50 % ermöglichen soll. • Der VGH Baden-Württemberg sagt 2012 (link) zur Enteignung eines Anwohners, er habe die Leistungsfrage schon 2006 geprüft und übergeht den detaillierten Nachweis, dass damals Mittelwerte mit Maximalwerten verwechselt und das Gericht auch sonst in unzähligen Punkten getäuscht worden war (pdf). • Weiter sagt der VGH, es sei nicht "ersichtlich", dass der Kläger 2006 diejenigen Argumente und Beweise noch nicht kannte, die damals noch nicht bekannt waren?! • Weil nun enteignet werden sollte, ohne dass eine vollständige Würdigung der Argumente stattgefunden hatte, wurde das Bundesverfassungsgericht angerufen. Sein Spruch sinngemäß: Eine Grundrechtsverletzung sei nicht "ersichtlich", weil dies eine Frage der (nicht stattgefundenen) Würdigung der Argumente sei?! 

Neu seit Beginn des Bürgerbegehrens: Am 03.07.2014 bestätigte der VGH Baden-Württemberg (link) die Rechtskraft seines Urteils von 2006, traf aber keine Bewertung, ob die S21-Leistungsfähigkeit ausreichend ist, obwohl er ausdrücklich bestätigte, dass die Kapazität des Tiefbahnhofs bei lediglich 32 Zügen pro Stunde liegt!

Hat die Bahn denn keine Argumente gegen die Kritik an der S21-Leistungsfähigkeit?

Der Bahn sind die Kritikpunkte seit vielen Monaten bekannt, – sie vermochte aber nicht, sie öffentlich oder nachvollziehbar zu entkräften. Selbst vor Gericht hatte sie keine Gegenargumente in der Sache, sondern verwies lediglich auf das Renommee ihrer Gutachter. – Aber gerade mit deren Aussagen wird die Kritik wesentlich begründet! In der Öffentlichkeit lässt die Bahn all diese Argumente unentkräftet stehen und gegen den damit von C. Engelhardt begründeten Vorwurf, Stuttgart 21 sei der "größte technisch-wissenschaftliche Betrugsfall der deutschen Geschichte" (St.Z.Stern1, Die Zeit, Stern2, Spiegel), setzt sie sich nicht zur Wehr! Sie scheut offenbar die gerichtliche Bewertung dieser Argumente.

Neu seit Beginn des Bürgerbegehrens: Auch zuletzt hatte die Bahn keine Argumente gegen die Leistungskritik und duckte sich eins ums andere mal weg: 

In der Anhörung zu PFA 1.3 auf den Fildern war die Bahn im Herbst 2014 gezwungen, zur Planrechtfertigung und dort insbesondere zur Leistungsfähigkeit Stellung zu nehmen. In der mündlichen Verhandlung erlebte sie ein Debakel, worauf die Diskussion der Leistungsfähigkeit abgebrochen wurde (ERI 1/2015). Ihre schriftliche Stellungnahme (pdf) vermochte keinen der Kritikpunkte auszuräumen, wie in dem Nachforderungskatalog von C. Engelhardt dargestellt (pdf). Diesen wollte die Bahn auf Anforderung des Regierungspräsidiums Stuttgart bis Feb. 2015 beantworten, ist aber offenbar bis heute nicht in der Lage, die Kritik zu entkräften.

Projektchef Manfred Leger, konfrontiert mit der nicht entkräfteten Kritik an der Leistungsfähigkeit (pdf), zieht es vor nicht in der Sache zu antworten (pdf), und bricht dabei seine Zusage, sich offen auseinanderzusetzen mit den "Bürgern, die sich sehr genau mit den Dingen beschäftigen" (St.Z.).

In der Anhörung vor dem Verkehrsausschuss des Bundestags vom 06.05.2015 (link) argumentierte die Bahnseite vollkommen unzutreffend, es gäbe "in keiner Weise neue Aspekte" bzw. "nichts Neues seit 2010" bei der letzten Anhörung zu Stuttgart 21 im Bundestag. Dabei wird die insbesondere zur S21-Leistungsfähigkeit grundlegend neue Situation vollkommen übergangen: Der seit 2011 als Leistungsnachweis angeführte Stresstest ist neu und zu ihm wurden inzwischen zahlreiche Fehler faktisch eingeräumt. Bahn-Gutachter Prof. Martin hat inzwischen seine Kapazitätsaussage von 51 Zügen für S21 zurückgenommen. Und die Auslegung des Bahnhofs auf einen Rückbau der Kapazität war ebenfalls erst nach 2012 aufgedeckt worden. Auch die Unterdimensionierung der Fußgängeranlagen war erst 2012 aufgedeckt worden, als die Bahn den Stuttgarter Gemeinderat dazu falsch informierte. Auch im Bundestag wich die Bahn der Kritik an der Leistungsfähigkeit aus und lieferte keine Argumente. (Vgl. dazu auch die Bestandsaufnahme.)

Fragen zur S21-Leistungsfähigkeit für die Fußgänger

Fragenkomplex: Warum wird S21 zu eng sein für die zukünftigen Reisenden?
Hintergrundinformationen: wikireal.org/wiki/Stuttgart_21/Personenzugänge oder pdf.

Warum ist S21 auch für die Fußgänger viel zu eng?

Die Fußgängeranlagen von S21 sind lediglich auf die Reisenden aus ebenfalls maximal 32 Zügen pro Stunde dimensioniert worden, womit das geplante Wachstum an Passagieren nicht bewältigt werden kann. Darüber hinaus wurden frühere Komfort-Zusagen erheblich abgesenkt, an sehr vielen Engpässen wird es gewaltiges Gedrängel geben. Im Katastrophenfall ist die rechtzeitige Evakuierung des Bahnhofs nicht möglich – das ist lebensgefährlich!

Die DB hatte doch dem Gemeinderat berichtet?

Die Bahn hatte am 24.07.‌2012 Stuttgarts Gemeinderat zur Simulation der Personenströme falsch informiert: Gegenüber den S21-Vorgaben waren die Ansprüche regelwidrig gesenkt und eine unrealistisch niedrige Belastung angenommen worden. Trotz dieser stark erleichterten Simulation war das Ergebnis kritisch und wurde nur geschönt in einem Auszug gezeigt. Dessen Korrektur zeigt gefährliches Gedrängel und zahllose laut S21-Zielsetzung nicht akzeptable Qualitätsstufen an den Durchgängen:

Ergebnis Personenstromanalyse

Plan der S21-Fußgängeranlagen mit den Ergebnissen der Personenstromanalyse. Die von der Bahn vor dem Gemeinderat gezeigte Darstellung war fast durchgehend grün markiert, dabei hatte die Bahn 9 × Stufe E (durchgefallen) und 52 × Stufe D (Ziel verfehlt) nicht gezeigt, die selbst in der stark erleichterten Personenstromanalyse noch auftreten (Plan DB AG in Grau + Korrekturen in Farbe). Die hier dargestellte Untersuchung hat den Stand 2009/2012. Inzwischen wurden aus Brandschutzgründen zusätzlich zwei eingehauste Fluchttreppenhäuser pro Bahnsteig vorgesehen (siehe Abb. oben). Dies verschärft die Engpässe für die Fußgänger im täglichen Betrieb und macht eine erneute Analyse der Personenströme notwendig, die jedoch nicht vorliegt.
 

Welche unrichtigen Darstellungen hatte die Bahn dem Gemeinderat gegeben?

Am 24.07.2012 vor Stuttgarts Gemeinderat hatte der Vertreter der Bahn unrichtig angegeben:
1.) Stufe D sei für S21 angestrebt, tatsächlich war Stufe C für S21 vorgegeben worden.
2.) Eine Bahnsteigräumzeit von bis zu 4 Minuten, die angegebene Richtlinie gibt 2* Minuten vor.
3.) Die Zahl der Züge sei für die Belastung irrelevant, das ist falsch für Gemeinschaftsflächen.
4.) 400 m lange Züge (ICE) seien Volllast, 2 × mehr: Doppelstock-Regionalzüge in Doppelbelegung.
5.) Eine Tabelle mit freihändig getroffenen und im Ergebnis falschen Bewertungen zu Gunsten S21.
6.) Suggestiv wurde ein Animationsfilm ohne jede Dokumentation der Parameter gezeigt.
7.) Unklar blieb die planerische Lösung zu den kritischen Engpässen und deren Qualität.
8.) Nicht gezeigt wurden viele selbst in der erleichterten Simulation auftretende Engpässe (s.o.).
9.) Lob von S21 für "hohe Servicequalität" und internat. Vorbildfunktion, das Gegenteil ist richtig.

* Seit die Bahn Herbst 2014 in der Filderanhörung klarstellte, dass die Zugfolgezeit bei S21 zwei Minuten beträgt, sind auch für die Bahnsteigräumzeit 2 Min. anzunehmen. Bis dahin wurden aufgrund von Aussagen der Bahn zur Zugfolgezeit lediglich 2,5 Min. gefordert.

Wird es wirklich so eng sein, dass es für die Reisenden lebensgefährlich wird?

Ja, denn es hätten für die Entfluchtung mindestens 40 % mehr Personen angenommen werden müssen, als in den bisherigen Simulationen berücksichtigt wurden. Gerechnet wurde laut dem DB-Sicherheitsbeauftragten Bieger (Gemeinderat am 22.10.2013) mit Regionalzügen mit 7 Doppelstock-Waggons mit je 1757 Personen. Herr Bieger erläuterte auch, dass zusätzlich 30 % von dieser Zahl als Wartende am Bahnsteig zu berücksichtigen sind. Insgesamt wurden aber nur 16.164 Personen für die Entfluchtung der 8 Bahnsteige angesetzt, d.h. nur für jeden zweiten Zug wurden Wartende angenommen. Stuttgart ist aber ein Bahnhof mit besonders starkem Fahrgastwechsel, so dass diese Annahme nicht realistisch erscheint. In jedem Fall ist aber die Anzahl der 7 Waggons nicht ausreichend. Die Betriebsprogramme für Stuttgart 21 (sowohl in der Planfeststellung als auch im Stresstest) sehen Modellzüge mit 5 Waggons in Doppelbelegung vor, also 10 Waggons pro Bahnsteigkante, d.h. die simulierte Anzahl von zu Evakuierenden hätte um mehr als 40 % höher angesetzt werden müssen. Auf DirektZu wurde eine noch niedrigere Personenzahl für die Entfluchtung angegeben, die dortigen Zahlen müssten demnach sogar verdoppelt werden. Es ist also weiter fraglich, ob nicht Stuttgart 21 im Katastrophenfall zur Todesfalle wird.

Was sagt der Gemeinderat dazu, dass er falsch informiert wurde?

Die Gemeinderatsfraktionen sind sowohl über das Ausmaß der Fehlinformation der Bahn als auch über die Unterdimensionierung der Fußgängeranlagen, die im Katastrophenfall lebensgefährlich ist, informiert (pdf1pdf2). Lediglich die Fraktion SÖS/Die Linke bemüht sich um Aufklärung, ihr Stimmenanteil im Gemeinderat reicht aber nicht aus, Beschlüsse dazu einzuleiten. Dies ist eine wesentliche Motivation für dieses 4. Bürgerbegehren zu Stuttgart 21.

Was sagt die Bahn zu diesen Vorwürfen?

Die Bahn unterzieht diese Kritik seit Februar 2013 einer "detaillierten Prüfung" (St.Z., s.a. St.Z. 2014 und Kommentar), ohne sie bis heute entkräften zu können.

Haben Sie noch Fragen zum 4. Bürgerbegehren bzw. zur Leistungsfähigkeit?
Haben Sie Berichtigungen oder Ergänzungen zu den Darstellungen auf dieser Website?
Schreiben Sie uns: info@leistungsrueckbau-s21.de. Oder arbeiten sie mit: wikireal.org.

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